Telmo Pires „Ser Fado“
Wenn man vom Fado, dem portugiesischen Universalbegriff für gesungenen Leidenschaft reden will, kommt man letztlich nie an Amalia Rodrigues vorbei. Die Königin des urbanen Blues der Portugiesen beherrscht auch nach ihrem Tod, und der ist bald zwanzig Jahre her, die Musik der Fadosängerinnen und -sänger. Das ist bei aller Leistung Amalias ein Problem für die nachfolgenden Generationen. Stars, wie Misia, Mariza, Carminho werden immer an ihr gemessen und stilistische Variationen, eigene Wege im Fado mit Argusaugen beobachtet. Telmo Pires könnte mehr als ein Lied davon singen. Tut er aber nicht, denn er hat längst seine eigene Fadostimme gefunden. Das Album „Ser Fado“ hat er in Lissabon produziert. Klingt erstmal nicht ungewöhnlich für ein Fadoalbum. Aber der Weg dahin war lang und ungewöhnlich. Pires ist in Portugal geboren, im Ruhrgebiet aufgewachsen und in Berlin erwachsen geworden, wo er sich ausgiebig dem Fado widmete. In Berlin ist alles exotisch Wirkende erstmal willkommen. Ein Fadosänger, der Berlinern kann, macht diese Stadt noch ein bisschen bunter. Und doch, ist ein Fadosänger in Berlin etwas anderes als ein Faodsänger in Lissabon. Kann man sich dort behaupten, wo das Lied seinen Ursprung, seine Heimat, seine Jünger und Wächter hat? Pires tat den gewagten Schritt und zog nach Lissabon, um die Luft und die Seele der Stadt am Tejo zu atmen. „Ser Fado“ – „Fado sein“ ist das Ergebnis seines Versuches, eins zu werden mit der Stadt Amalias, Fuß zu fassen in seiner Heimat, ohne zu vergessen, wo seine Wurzeln über die Jahre die Kraft für sein Werden fanden. Fado ist oft auch ein Ausdruck für Zerrissenheit, für die Saudade, die Sehnsucht nach etwas, das sich immer dort befindet, wo man sich selbst im Moment nicht befindet. Wenn man ein Kind zweier Welten ist, wie Telmo Pires, mag Fado vielleicht die perfekteste aller Ausdrucksmöglichkeiten sein. Es spricht für seine Kunst, dass er sich dabei nicht von den Trends verbiegen lässt, die den Fado aus der urbanen Umarmung in die Globalisierung der Weltmusik drängt. Popmusik war Fado nie, auch wenn heute E-Orgeln, Schlagzeug und elektronische Klangelemente diese Musik modernisieren sollen – und sie häufig genug nur verwässern. Auf „Ser Fado“ hat Pires sich dem Ursprung des Fados in seiner Klarheit genähert, ohne dabei alte Klangbilder zu kopieren. Die Starke des Albums liegt dabei darin, dass Telmo Pires nicht interpretiert, sondern den Fado aus seinem Herzen sprechen lässt. Lediglich am Ende der CD greift er im Lied „Silêncio no meu coração“ auf eine Idee von Amalia Rodrigues zurück. Womit sich der Kreis schließt. Denn an Amalia kommt man im Fado letztlich nicht vorbei.